Nicht der defekte Rollstuhl meiner Tochter war beim Besuch des Bürgerbüros unser größtes Handicap – sondern die Haltung der Mitarbeiter
Meine Tochter benötigte vor Kurzem einen neuen Personalausweis. Da aufgrund der Corona-Situation spontane Besuche im Bürgerbüro nicht möglich sind, haben wir den erstbesten Termin genommen, der uns angeboten wurde, und lange darauf gewartet. Trotz ihrer Schwerbehinderung und des riesengroßen Aufwandes, den ein persönliches Erscheinen für uns bedeutet, konnte nicht auf eine persönliche Anwesenheit meines Kindes verzichtet werden, also nahm ich sie für den Tag aus der Schule.
Unser Tag war insgesamt sehr hektisch, so dass uns erst auf dem Behindertenparkplatz aufgefallen ist, dass wir platte Reifen am Rollstuhl hatten.
Da die Zeit zum Termin knapp wurde, habe ich versucht im Bürgerbüro anzurufen. Nach mehrmaligen erfolglosen Versuchen konnte ich eine Mitarbeiterin aus dem Empfang erreichen, die mich dann leider nicht verbunden, sondern wieder aufgelegt hat. Zeitgleich spazierte ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung über die Straße. Ich fragte ihn, ob er uns vielleicht eine Durchwahl zum Bürgerbüro nennen könnte, dieser winkte aber fröhlich ab und ging weiter.
Zu meinem Glück liegt das Rathaus in der Nähe meiner Arbeitsstelle, der Familienbande Kamen. Dorthin bin ich dann gelaufen, um meine Kolleginnen zu bitten, uns zu helfen bzw. auf meine Tochter aufzupassen, damit ich im Bürgerbüro Bescheid sagen konnte, um den Termin zu wahren. Im Bürgerbüro angekommen war es bereits eine Herausforderung, überhaupt einmal Gehör zu finden und meine Situation zu erklären. Hilfe angeboten wurde mir nicht.
Ich fragte nach einem Leihrollstuhl, hier wurde mir die Auskunft gegeben, dass es so etwas im Rathaus nicht gebe.
Verwundert stellte ich die Rückfrage, wie denn in Situationen gehandelt würde, in denen eine Seniorin oder ein Senior z.B. einen Schwindelanfall hätte und Hilfe benötige. Diese Diskussion bewog die Mitarbeiterinnen am Empfang, den Hausmeister anzurufen und diesen um Hilfe zu bitten. Ein anderer Kollege erklärte achselzuckend, dass es in der Stadthalle einen Defibrillator gebe. Wenn ich nicht so im Stress und unter Zeitdruck gewesen wäre, hätte ich ihn vielleicht gefragt, wie ich damit platte Rollstuhlreifen aufpumpen soll.
Unverrichteter Dinge lief ich zurück zum Parkplatz. Dort hatten meine Kolleginnen aus der Familienbande bereits ein „Ersatzfahrzeug“ aus der Kita besorgt, damit meine Tochter ihren Termin im Bürgerbüro wahrnehmen konnte.
Mir blieb nichts übrig, als mit einem Kinderwagen, der eigentlich für 10 Kinder gebaut ist, ins Bürgerbüro zurückzufahren. Hilfe – Fehlanzeige
Die städtischen Mitarbeiter haben wortlos an ihren Schreibtischen gesessen und mich dabei beobachtet, wie ich dieses „Schlachtschiff“ durch die Tür manövriert habe. Ich bin froh, dass meine Kollegin mir hinterhergegangen ist, um zu schauen, ob ich doch noch Unterstützung benötigte. Nur sie hielt mir Türen auf oder räumte Stühle beiseite.
„Lassen Sie das Kind auf dem Flur stehen, hier ist es zu eng.“
Als die zuständige Sachbearbeiterin das zu mir gesagt hat, wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Wo doch das persönliche Erscheinen meiner Tochter erforderlich und unumgänglich war, war nun ich nicht bereit, hier einen Kompromiss zu machen.
Unterdessen pumpte der Hausmeister die Reifen des Rollstuhls wieder auf.
Er war der einzige, der sich um uns bemüht hat. Ich gehe zwar nicht davon aus, dass er diesen Blogbeitrag liest, aber an dieser Stelle noch einmal ein herzliches „Dankeschön für Ihre Hilfe!“.
Total erleichtert konnten wir das Kind dann noch im Bürgerbüro wieder in ihren Rollstuhl setzen. Es hat allerdings einige Zeit gedauert, bis ich alleine den riesigen Kinderwagen wieder aus dem Bürgerbüro herausfahren konnte – denn meine Kollegin kümmerte sich um meine Tochter.
Alle anwesenden Mitarbeiter saßen weiterhin wortlos und wie „festgetackert“ an ihren Schreibtischen.
Ich habe mich anschließend noch einmal umgedreht und mich bei allen für ihre Hilfsbereitschaft und ihr Engagement bedankt. Dieser Vorfall hinterließ mich einfach nur fassungslos.
Deshalb schrieb ich eine E-Mail an die Bürgermeisterin: Denn Inklusion muss Chefsache sein.
Inklusion beginnt im Kopf und es braucht engagierte Menschen, auch in den Verwaltungen, die sich für dieses Thema einsetzen, aber auch die Macht haben, Dinge durchzusetzen. Deshalb muss Inklusion Chefsache sein. Ausgrenzung und Diskriminierung steckt im Kleinen, im Alltäglichen und vor allem in den Köpfen der Menschen.
Inzwischen sind seit dem Vorfall zwei Wochen vergangen – aber noch keine Antwort erhalten.
Leider reicht es oftmals dann doch nicht aus, eine Regenbogenflagge vor dem Rathaus, als Zeichen für mehr echte Solidarität und gegen Ausgrenzung zu setzen.
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