In Sachen Rassismus hat Deutschland viel verpasst. Dabei waren wir schon mal auf einem sehr guten Weg.
Ich bin 1961 in Bremen geboren und wuchs in einem liberal-linken Klima auf. Meine „kosmopolitische Multikultur“ begann mit dem ersten Fremdsprachenunterricht während der Schulzeit und als junges Mädchen ging ich davon aus, dass sich dieses Interesse ganz im Sinne meiner elterlichen Erziehung entwickle. Man kann Menschen doch nicht in unterschiedliche Klassen einteilen, nur diese Schlussfolgerung konnte die logische Konsequenz auf die Geschehnisse unter Hitler sein.
Die andere Strömung, die mich ebenfalls enorm prägte, war das freiheitliche Klima der Post-1968er. Es ging um die „bessere Gesellschaft der Zukunft“. Und die Protesthaltung, wie sie jetzt nach der Ermordung von George Floyd wieder hochkommt, gab es in den 1960ern schon einmal in vergleichbarer Art und Weise mindestens in Amerika.
Damals waren wir viele; soziale Gerechtigkeit, ökologisches Bewusstsein, die Friedensbewegung oder die Proteste gegen Immobilienspekulanten resultierten daraus, die Rassendiskriminierung in USA und der Handelsboykott des Apartheidsystems in Südafrika waren Themen, mit denen wir uns als Jugendliche intensiv auseinandersetzten. Dunkelhäutige Menschen existieren auch nicht erst seit kurzem in Deutschland, wie es im Moment vielleicht manchmal den Anschein haben könnte, sondern leben schon seit Jahrzehnten mit uns.
Doch da zieht sich eine schizophrene Spur durch unsere Gesellschaft.
Zum Beispiel: Mein Großvater mit seiner jüdischen Physiognomie sah aus wie Franz Kafka und war unter Hitler von der Judenverfolgung persönlich betroffen. Er war dann aber auch derjenige, der hinter der Küchengardine stand und mit dem Finger auf die ersten Türken in seinem Wohnviertel zeigte. Innerlich erhob er sich gegen die „andersartigen“ Türken, – er hatte das Problem nicht verstanden.
Meinen Eltern ging es in den 60er und 70er Jahren um den sozialen Aufstieg, Wohlstand, ein Haus, das Auto und eine gute Ausbildung für ihre Töchter, sie standen ratlos vor meiner Entwicklung. Fatal war auch, dass inhaltliche Auseinandersetzungen in meiner Familie gelebt wurden, als seien sie ein Tabu, ganz im Stil der 1930er Jahre gab es keine Diskussionen.
Als ich 1989 mit der Botschaft zu Hause ankam, dass ich von dem Pharmaziestudenten Osman Mohmed aus dem Sudan schwanger bin, fand das Verständnis meiner Familie für meine international ausgerichteten Interessen ein jähes Ende.
Nachdem wir 28 Jahre lang jedes Familienfest gemeinsam gefeiert hatten, brachen alle Großeltern den Kontakt zu mir ab. Als meine Großmutter mich am Telefon beschimpfte, konnte ich nur antworten: „Aber Oma, Du kennst Osman doch gar nicht!“ Es war nicht relevant, wie er WAR, dachte, fühlte, tickte. Mein Vater war nicht an einem Kontakt zu mir und seiner ersten Enkelin interessiert. „Mutter hält zu mir“, dachte ich, Fehleinschätzung, auch sie war entsetzt und ihre Reaktion warf mich damals ziemlich aus der Bahn.
Die Wogen zwischen mir und Mutter glätteten sich wieder, doch kann ich nicht behaupten, dass sie oder meine jüngere Schwester, dem Vater meines Kindes wohlwollend begegneten. Auch sie würden jede rassistische Empfindung weit von sich weisen, doch er war ja „objektiv“ zu anders, hatte die „falschen“ Ansichten. Wir hatten als Paar keine Lobby und dieses vergiftete Klima tat unserer Liebesbeziehung nicht gut.
1990 passierte etwas Schreckliches: Er wurde (mit seiner fast 2-Meter langen Statur) in der S-Bahn von Bernau nach Berlin von mehreren Jugendlichen zusammengeschlagen.
„Auf die Knie, Du Nigger!“ lautete der Befehl. Ich war nicht dabei, die anderen Passagiere schauten zu- oder weg, die Jugendlichen verschwanden unerkannt. Ich habe erlebt, wie schwer es ihm fiel, überhaupt darüber zu sprechen. Weil es IHM peinlich war, ER war ganz unendlich beschämt.
Ich habe erlebt, wie er am Eingang einer Disco grundlos von zwei muskelbepackten Türstehern verprügelt wurde – auch ich mittendrin wurde kräftig verdroschen. Ich habe erlebt, wie Osman an nahezu ALLEN öffentlichen Orten eine seltsam skeptische Zurückhaltung entgegenwehte, die er mit viel Freundlichkeit immer erstmal brechen musste. In allen Ämtern, Geschäften, Institutionen, nirgendwo war er ein so selbstverständlicher Kunde oder Gast wie hellhäutige Menschen.
Auch wir gemeinsam wurden in Restaurants beispielsweise einfach nicht bedient. Das passiert mir heute mit meinen afrikanischen Freunden immer noch.
Im Zug standen die Mitfahrenden neben uns auf und setzten sich auf einen anderen Platz. Auch habe ich die Frauen von einer neuen Seite kennengelernt: Obwohl völlig klar war, dass wir ein Paar waren, haben ihn viele Frauen angebaggert als sei ich Luft, auch darin lag etwas Rassistisches: Unsere Partnerschaft wurde nicht respektiert. Ich bin in den Augen der anderen mit ihm an der Seite eine andere Frau – warum?! Alltagsbanalitäten, wie Ferien in Italien? So etwas überlegt man sich zwei Mal, wenn man weiß, dass man garantiert auf viele Probleme und Unannehmlichkeiten stoßen wird. Ganz existenzielle Dinge wie Job- oder Wohnungssuche sind unvorstellbare Hürden im Leben dunkelhäutiger Menschen, ihr ganzes Leben findet in einem feindlichen Klima statt.
Auch hier wird es wieder schizophren: Warum braten sich Leute wie Grillhähnchen in der Sommersonne, wollen so dunkel wie möglich werden, lehnen aber diejenigen, die von Natur aus dunkelhäutig sind, ab?
Auf dem Fussballfeld und den Titelblättern der Modehefte werden Dunkelhäutige angehimmelt. Die Werbung wirbt mit dunkelhäutigen Models, die Zielgruppe fühlt sich davon angezogen, möchte dann aber im Geschäft nicht von derselben Person bedient werden.
Auch nicht auszudenken, um wieviel ärmer unsere Musik ohne das geniale Talent dieser Menschen wäre. Ein fantastischer Bassist aus Äthiopien erzählte mir kürzlich, dass er – wie schon Ella Fitzgerald und Zeitgenossen*Innen –den Konzertraum nicht durch den Haupteingang betreten kann. Wir sind mitten drin im „Green Book“ – immer noch oder schon wieder?
Die deutsche Gesellschaft war in Bezug auf Diskriminierung und Rassismus schon auf einem guten Weg, aber dieser hat sich wieder verflüchtigt – ich persönlich warte seit der Geburt meiner Tochter 1989 darauf, dass endlich etwas passiert.
Vergleichbar mit der Erkenntnis, dass man Kinder nicht schlägt oder Frauen vielleicht doch genauso viel wert sind wie Männer, wäre eine gesamtgesellschaftliche Bearbeitung des Themas Rassismus notwendig.
Es ist nicht nur selbstverständlich, sondern umgekehrt ein ethnischer und ethischer Reichtum, dass wir nicht alle gleich sind! Ich finde dunkle Menschen schön, ich könnte auch sagen „schöner“. Ich ließe mich sogar auf eine Diskussion dazu ein.
Deutschland hat seinen Völkermord in Südwest Afrika noch immer nicht wieder „gut“ gemacht, was in Anbetracht des Ausmaßes auch nicht mehr vollumfänglich möglich wäre, aber die deutsche Schuld betrifft nicht nur die Juden, sondern auch die Afrikaner. Flüchtlingskrise: Muss man das im Jahr 2020 echt noch/wieder schreiben, dass diese Menschen dasselbe Recht auf ein würdevolles Leben haben wie wir? Vor allem wenn sie aus Afrika kommen, das die hellhäutigen Europäer seit vielen Jahrhunderten ausbluten, – und nicht umgekehrt.
Anm. d. Redaktion: Bettina schrieb den Artikel bereits im Juni 2020, während der Proteste um den grausamen Mord an Georg Floyd. Mehr von Bettina lest ihr auf www.bettina-ullmann.de.
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